Divertimenti Series 1999-2003

Jourdan Arpelles Divertimenti Series 1999-2003

Von Alexandra Anderson-Spivy

Geometrische Abstraktion als internationale Stilrichtung hat sich im 20. Jahrhundert als bemerkenswert dauerhafte Inspiration für Generationen von Künstlern erwiesen. In rund 100 Jahren haben sowohl Maler als auch Bildhauer aus dem nicht figurativen Kanon Ideen geschöpft, die zu höchst fortschrittlicher Moderner Kunst geführt haben. Die New Yorker Künstlerin Jourdan Arpelle, deren Denken seit ihren Anfängen als Ernst zu nehmende Künstlerin im Jahre 1992 auf der visuellen Logik von reiner Form und Farbe basiert, ist eine der Erbinnen dieser vitalen, nicht-gegenständlichen, internationalen Tradition. In der Reduzierung ihrer plastischen Mittel zu einer Essenz des Bild-Vokabulars, besteht ihre visuelle Syntax allein aus Line, Form und Farbe. Arpelles Suche nach formaler visueller Klarheit innerhalb des aktuellen, freizügigen und objektreichen, barocken Klimas in der zeitgenössischen Kultur, mit dem Wunsch, eine Art kosmischen Bewusstseins entstehen zu lassen, manifestiert etwas, dass Susan Sontag bereits vor über 40 Jahren festgestellt hat. –In ihrem Essay “Against Interpretation” (Gegen die Interpretation) von 1964 hat die Autorin und Kritikerin beobachtet: “Unsere Kultur basiert auf Exzess, auf Überproduktion; das Ergebnis ist ein beständiger Verlust an Schärfe in unserer Sinneswahrnehmung…was jetzt wichtig ist, ist unsere Sinne wiederzuentdecken. Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte zurückzunehmen, damit wir die Sache selbst überhaupt wahrnehmen können.” Diese Notwendigkeit, bourgeoise Exzesse über Bord zu werfen, war ein Antrieb für die Pioniere der geometrischen Abstraktion am Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu den führenden Vertretern zählen die russischen Suprematisten und die Mitglieder der holländischen de Stijl-Bewegung, die aus einem Gefühl utopischer Spiritualität und ethischer Mission heraus arbeiteten. Im Chaos nach dem ersten Weltkrieg waren Kasimir Malevitsch, Wladimir Tatlin, Theo Van Doesburg und Piet Mondrian getrieben von dem drängenden Gefühl, dass die Gesellschaft eine neue Ordnung in der Kunst bedarf. Diese reine Abstraktion – basierend auf den Fortschritten des Kubismus – markierte die Anfänge eines neuen Zeitalters in der Malerei. Für diese Künstler und ihre Kollegen war die geometrische Abstraktion mehr als nur ein Stil, mehr als eine ästhetische Theorie der reinen Kunst frei von den Bürden der Repräsentation. Im Streben, mit visuellen Mitteln ein philosophisch-spirituelles System zu schaffen, träumten sie davon, eine neue, utopische Sozialordnung zu formen. Innerhalb einer Dekade hatte der Konstruktivismus sich zu einer globalen Philosophie entwickelt. Eine Konsequenz war 1919 die Entstehung des Bauhaus (1919-1937) in Weimar. Während der politisch und wirtschaftliche turbulenten 1930er Jahre, wandte sich die fortschrittliche europäische Kunst einer eher dekorativen Art der geometrischen und biomorphen Abstraktion zu, während Paris in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg zum Zentrum der neuesten Kunst wurde. Durch die Apokalypse des Krieges, als Künstler wie Josef Albers, Mies van der Rohe und andere einflussreiche Auswanderer nach Amerika flohen, wurde New York City in den 40er Jahren zum Kunstzentrum. Diese zentralen Figuren waren ein Katalysator für den Transfer konstruktivistischer Ideen aus Europa in die Vereinigten Staaten. Künstler wie Burgoyne Diller und Fritz Glarner, beide Gründer von American Abstract Artists, begannen unter dem Einfluss von Mondrian und Albers energetische, fragmentarische Formen und dynamische Symmetrie durch einfachere, flächenhaftere Kompositionen zu ersetzen. In den 1950er Jahren von der gestischen Abstraktion, perfektioniert durch die Abstrakten Expressionisten von ihrem Platz verwiesen, blieb die geometrische Abstraktion auch nach den 1960er Jahren dennoch ein entwicklungsfähiges Vokabular für viele Künstler, die lernten, dass Erbe des “allover” der Action Painter als holistisches Feld für ihre eigene Arbeit zu nutzen. In den späten fünfziger Jahren vertrat Frank Stella, der bereits den im Nachkriegsamerika vorherrschenden Stil der gestischen Abstraktion in der Malerei hinter sich gelassen hatte, eine Rückkehr des künstlerischen Objekts und eine extreme Reduziertheit in Form und Farbe, die sich am deutlichsten an seinen frühen monochromatischen Streifenbildern zeigt. Seine heute berühmte, trockene Bemerkung, “Was sie sehen ist was sie sehen,” war wegbereitend für die Minimalisten der siebziger Jahre, die sich einem entschieden reduzierten, essentiellen Materialismus widmeten. Anhand der frühen Arbeiten von Jourdan Arpelle – ihren Kreuz-Skulpturen und den monochromatischen “Persephone” und “Black Paintings” Serien, die auf der orthogonalen Teilung der quadratischen Leinwand in vier Segmente basieren – erkennt man, dass die Künstlerin vielfältig beeinflusst worden ist durch Judd und Stella, ebenso wie Malewitsch, Rodschenko, Mondrian, Arp und Albers. Malewitsch betrachtete sein schwarzes Quadrat – erstmals im Dezember 1913 auf dem Bühnenvorhang für die Avantgarde-Theaterproduktion von “Sieg über die Sonne” in Sankt Petersburg verwandt – als “das Embryo aller Möglichkeiten – in seiner Entwicklung gewinnt es eine schreckliche Stärke.” Für den berühmten russischen Künstler war das schwarze Quadrat eine Ikone des Nihilismus ebenso wie ein Symbol utopischer Reform. Wenngleich Arpelle einen formalen und geistigen Bezug zu Malewitschs puristischen Ikonen und seinem von illusionistischer Repräsentation unbeeinflussten Unabhängigkeitssinn anerkennt, zeigt ihre Arbeit keine Spur von Nihilismus. Stattdessen strebt sie einen optimistischen Ausdruck einer höheren, klaren Ordnung in Themen und Variationen an, um ihre Ideen einer Transformation durch visuell motivierte Bewusstseinsveränderung und eine Verkörperung des künstlerischen Strebens nach wirklicher Unabhängigkeit und Individualität durch die kreative Schaffenskraft an. Für Arpelle besteht die Faszination der geometrischen Formen in ihrem Ewigkeitsanspruch und ihrer Universalität als Komponenten einer visuellen Sprache, die alle Kulturen überspannt und übersteigert. Diese elementaren Formen drücken auch die Vorstellung der Transformation des physischen in die geistige Dimension aus. Zentral für das Werk der Künstlerin ist die Entwicklung durch sorgsam geplante Folgen von Beziehungen aus geometrischer Form und Farbe. Ihre “Divertimenti”-Serie reicht von 1999 bis 2003. Ursprünglich basierend auf der Form des byzantinischen Kreuzes, repräsentieren die Bilder in ihrem zunehmenden Elan, dem grenzenlos einnehmenden Dialog zwischen Form und Farbe Variationen, die in der Fortentwicklung der Serie über den Zeitraum von vier Jahren immer raffinierter geworden sind. Sie reflektieren auch ihr tiefer werdendes Interesse an Musik, mit Allusionen zu den 17 kurzen, brillianten Kompositionen für Streicher, Hörner, Flöte, Trommeln, Klarinette und Oboe, dass Mozart zwischen 1771 und 1779 schrieb. 1999 begann Arpelle ihre Arbeit an dem, was einmal die Divertimenti-Serie werden würde, mit einem grundlegend anderen Ansatz. Für die detailorientierte Künstlerin, die für gewöhnlich mit tiefer Verpflichtung zu Logik und Präzision arbeitet, waren diese Gemälde von unerwarteter Spontaneität. Was zunächst als Umweg erscheint, erweist sich als beschleunigte Entwicklung der Verwendung von Farbe und sprengt die Formen in ihrer Arbeit. In der ihr eigenen methodischen Arbeitsweise bereitete sie Kompositionsskizzen und 21 kleine grundierte Leinwände für eine gänzlich andere Serie von Bildern mit Kompositionen aus Variationen überlappender Quadrate in Grautönen, die sie zuvor “Geist” betitelt hat, vor. Irgendwo auf diesem Weg hatte sich etwas verändert. –Intuitiv spürte sie die Notwendigkeit, eine Komposition aus schließlich 14 Leinwänden aus flächig, schwebenden Quadraten in gebrochen-opaken, transluzenten und transparenten Rot und Orangetönen vor einem grauen Grund zu komponieren. Komplexere Farbbeziehungen erzwangen sich sprichwörtlich den Weg in ihre Arbeit. In einer höchst intensiven Arbeitsphase im Jahre 1999 vollendete sie die ersten fünf Bilder der Serie. Zwischen 2001 und 2002 fertigte sie neun weitere, kleinformatige Divertimenti, die sie “Divertimenti II”-Serie nennt. Das erste dieser Bilder markiert den Übergang. Dort ersetzte sie den grauen Bildgrund der Anfangsgruppe (1999) durch dunkles grün statt schwarz oder grau als Hintergrundfarbe. In der Folge schloss sie schwarz, grau und weiß aus und entwickelt sich hin zur Farbe. Sie nutzte diese stärker als bisher um Werte und Strukturen einzubringen. Ihr Ziel in der Eleminierung der neutralen Palette aus grau, schwarz und weiß war es, Farbe – anders als Licht und Schatten – eine rein strukturierende Funktion zu geben. 2003 begann sie eines der ambitioniertesten Projekte bislang: die Kreation von acht größeren Divertimenti III Bildern. Hier setzt die Künstlerin ihren Weg des transponierens von Vorstellungen musikalischer Komposition ins Visuelle fort. In dem festen Glauben, dass Malerei dies leisten kann, war ihre Herausforderung im Schaffen der Divertimenti III Gemälde die Transformation von Ideen aus der Musik in den Raum der Malerei. Ihre Denkweise findet dabei auch ihre Wurzeln in Kandinskis einflussreichen Beobachtungen in seinem Werk “Das Geistige in der Kunst.” Die Möglichkeiten einer Art Synästhesie zwischen Malerei und Musik proklamierend, schrieb er in diesem Manifest von 1914: “Ein Künstler, der keine Befriedigung allein in der gegenständlichen Darstellung findet – wie künstlerisch sie auch sein mag – kann in seinem Bedürfnis sein Innenleben auszudrücken nicht umhin, die Leichtigkeit der Musik beneiden, der gegenstandslosesten Kunst unserer Zeit, die dieses Ziel erreicht. Natürlich wird er versuchen, die Methoden der Musik auf seine eigene Kunst anzuwenden. Daraus resultiert das moderne Streben nach Rhythmus in der Malerei, nach mathematischer, abstrakter Konstruktion, nach wiederholten Farbnoten und danach, die Farbe in Bewegung zu setzten.“
Zum Jahrtausendwechsel 2000 unterbrach Arpelle die Arbeit an den Divertimenti-Bildern lange genug, um 17 „Geist“-Bilder zu vollenden, was sie sich zuvor zum Ziel gesetzt hatte, und schuf so eine bedrückende Vorahnung des 11. September. Diese waren als Serie aus grauen Gemälden mit offenen, überlappenden Quadraten konzipiert. Ihre Intention war es, die Dematerilisierung von Gegenständen ins Geistige zu vermitteln. Das Entlehnen einer Methode von einer Kunstform für eine andere kann nur wahrhaft erfolgreich sein, wenn die Anwendung der übernommenen Methoden nicht nur oberflächlich, sondern grundlegend ist. Erst wenn erkannt wird, wie die jeweils andere Kunstform diese Methoden einsetzt, kann sie von Anfang an passend übertragen werden. Der Künstler sollten dabei nicht vergessen, dass es an ihm liegt, nicht nur die Kraft der wahren Anwendung einer jeden Methoden umzusetzen, sondern auch diese Kraft weiter zu entwickeln. Arpelle begann mit der Entwicklung einer Serie aus kleinformatigen Skizzen und Zeichnungen die sie dann neu arrangierte und in einer Art Leporello-Faltung zusammenfügte. So konnte sie einfach die Sequenzen und die Verbindungen der Zeichnungen ändern und sicherstellen, dass die Übergänge zwischen den eigenständigen Bildern funktionierten. Sie benutzte die Form des Quadrates um den Rhythmus der Bilder zu lancieren, während die Orthogonalen bestimmte Akzente oder „Beats“ bezeichneten, die die grundlegende, abstrakte Narrationslinie bestimmten. Auf der Grundlage dieser sorgfältig ausgearbeiteten Skizzen entwickelte sie systematisch eine hoch-komplexe Kompositionsstruktur die eine Art von erweiterten Dialog zwischen Formen und Farben, Takten und Melodien aufbaute, die sowohl als fast acht Meter langes Gemälde, das vertikal oder horizontal installiert werden kann, als auch als ebenso überzeugende einzelne Diptychen funktionieren. Dazu sagt Arpelle: „Ich war nach wie vor eingenommen von der Idee, dass die Symbole des Quadrates und des Kreuzes als Darstellung einer abstrakten Idee und basierend auf einem linearen Handlungsstrang einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Divertimenti II war inspiriert durch die Musik. Als ich Flöte spielen lernte, habe ich mit Kompositionen von Mozart, Händel, Bach, Deviene und Tellemann gearbeitet. Ich bin fasziniert von der kompositionellen Struktur der Musik in der, durch die Art und Weise wie ein Komponist Rhythmus, Harmonien, Wiederholungen, Sätze, Notenwechsel, Richtungsänderungen, Variationen und Instrumentwechsel einsetzt, ein Motiv, eine Idee, eine Emotion vermittelt wird. Meine Herausforderung war es, die Vorstellung musikalischer Komposition zu verwenden und in zweidimensionale Kunst zu übersetzen. Ich verwandte das Quadrat, um den Rhythmus der Bilder zu setzten. Ich verwandte die Orthogonalen um die Takte näher zu bestimmen. Rot wurde ein weiteres Element dieses visuellen Rhythmus.“ Jedes der mit Rahmen 86 mal 86 Zentimeter großen Leinwänden des Divertimenti III kann, auch wenn sie allein oder im Bezug zu anderen funktionieren, als Maßeinheit für die rund 8 Meter lange Komposition gesehen werden. Arpelles geschickter Einsatz von Farbe untersucht Fragen der optischen Kontraste und wird zunehmend komplexer. Durch unerwartete und kraftvolle Farbwechsel beginnen die Ränder als unabhängige Formen zu wirken. In den Divertimenti III Bildern Nummer drei und vier, zum Beispiel, kontrastiert ein eindringliches Olivgrün mit einem Kastanienbraun und einem lebhaften Grün-Gelb, das die individuellen Formen betont und als helles Hintergrundlicht den Formen Leben einhaucht. Darüber hinaus sind einige der Zwischenraumslinien verdoppelt und verwenden kontrastierende Farben um einen zusätzlichen prismatischen Kontrast zu erzielen. Was als Reduktion begann, hat sich in ein feinfühliges Spiel mit Motiv und Variationen entwickelt. Innerhalb von Arpelles Oeuvre nehmen die feuerroten Quadrate für gewöhnlich die Stellung psychologischer Dominanz ein. In der Fortentwicklung der Divertimenti-Bilder schob die Künstlerin die Quadratformen über die Bildränder hinaus, so dass zunehmend nur Teile davon am Rande der Bilder sichtbar bleiben. Dieses Aufbrechen der Quadrate wurde zum Synonym für die Demontage des Einflusses einer fremden, fast feindseligen Kraft. Im weitern Verlauf benutzte die Künstlerin ihre kreative Kraft um das Quadrat zu objektivieren. In den Divertimenti III-Bildern sechs und sieben, beispielsweise, verschwindet das Quadrat fast ganz. Die Verbindung zwischen diesen beiden Bildern ist ein starkes, feminines Pink, das zu einem Fokus wird. Die Farbe wird kontrastiert durch einen gelb-grün Ton im Bild Nummer acht und formt so eine Art Finale für die Serie. Hier taucht das Quadrat wieder auf, ist aber nunmehr losgelöst. Es wurde vom Subjekt in ein Objekt umgewandelt, über das die Künstlerin eine elegante Kontrolle gewonnen hat. Alle drei Teile der gesamten Divertimenti-Serie sind durch ihre Textur, Form und Farbeinsatz beziehungsweise nicht-Einsatz verbunden und werden, durch den zunehmenden 
Gebrauch von Facetten opaker und transparenter Töne an den Rändern nun selbst zur Form. Die Vitalität der Divertimenti-Bilder verweist auf eine wunderbare Weiterentwicklung innerhalb von Arpelles Werk und demonstriert die Entwicklung ihrer Fähigkeit an ihrem immer komplexer werdenden, formalen Vokabular zu arbeiten. Während sie die Spannkraft der Tradition der geometrischen Abstraktion weiterentwickelt, hat sie mit dem dynamischen Wechselspiel zwischen gebrochenen Formen, diagonalem Fluss, Harmonien und Dissonanzen pulsierender Farbe und durch die Exploration der Kräfte der rigorosen Abstraktion, um die spirituellen und transformierenden Kräfte der Kunst zu untersuchen, eine statische Perfektion zum blühen gebracht.

November 2006.

Alexandra Anderson-Spivy ist Journalistin und Kunstkritikerin in New York und schreibt über zeitgenössische Kunst und Fotografie. Sie war Chefredakteurin bei Art & Antiques und US-Vorsitzende der International Association of Art Critics (AICA).

Übersetzer: Marcel Krenz ist Kunsthistoriker, Journalist und Consultant und lebt und arbeitet in Köln.